Schubert Projekt
>LEISE FLEHEN MEINE LIEDER<
Jänner 2004: Also saß ich wieder in meiner Wiener Wohnung, um ein
weiteres Mal meine Arbeit zu verprassen. Warum ausgerechnet in dieser Stadt
ist unbegreiflich, jede andere hätte mich besser genährt. "Der
Franz, laßt ihn in Ruh'", sagte Ronnie und war einverstanden für
mich die Winterreise zu singen. Diese auswegslose psychische Entwicklung, die
der Liederzyklus schildert, wird wohl meine Schubertbilder bestimmen. Ich sagte:
"Romantisch-ironische Verzweiflung nennt es die Musikwissenschaft",
und dachte an rosa Gummihandschuhe.
Die äußere Ordnung war im "Vormärz" (1815 bis zur
Revolution 1848) die Bedingung für den inneren Frieden und die Kunst hatte
die Aufgabe, die Werte des Privaten und der Intimität zu preisen. Alles
andere ließ ein verbeamteter Kulturbetrieb nicht zu und verfolgte jegliche
"revolutionäre Umtriebe". Auch Schubert mußte miterleben
wie sein Freund Senn nach einer Schriften-Visitation für vierzehn Monate
in Untersuchungshaft genommen wurde. Angesichts der damaligen Zensur versteckte
der Dessauer Dichter Wilhelm Müller seine harsche Kritik an der Restaurationspolitik
des Deutschen Bundes hinter einer harmlos scheinenden Heimatlyrik. Aus den beiden
Sammlungen der "Waldhornisten-Lieder" von Müller, vertonte Franz
Schubert später "Die schöne Müllerin" und "Die
Winterreise". Erst zwei Jahrzehnte nach Schuberts Tod kam es durch die
Revolution von 1848 zu einer Lockerung der Zensur. Doch markierten die nachrevolutionären
Wandlungen auch den Übergang vom Mäzenat zum Markt, der eine Produktion
in der Kunst nach sich zog, die der Nachfrage folgen mußte.
Oktober 2005: Die Mezzosopranistin Jacqueline Schwarz wird anstelle Ronnies
die Winterreise singen, begleitet von Peter Hartwigs elektronischen Modular-Arrangements.
"Kein Klischee werde ich auslassen, um in romantisch-ironischer Verzweiflung
zu ertrinken", sagte ich zu Jacqueline. Und es kreist bereits eine endlose
Traurigkeit durch meine Schubertbilder, wie sie auch durch die Winterreise kreist.
In dieser Traurigkeit sind wir scheinbar zuhause und singen sie anerkennend
mit. Auch Fitzcarraldo fällt mir ein: "wie ein Schiff auf einen Berg
zu ziehen". Das Scheitern am Ende will ich aber ausschließen und
suche weiter nach versteckten Wegen, die noch keiner ging (zurück).
"Wunden werden nicht gezeigt", schreibt Jelinek über Schubert.
Doch die Narben können wir noch sehen, und jede Narbe ist ein Stück
Erinnerung . . .
Schubert Project
>LEISE FLEHEN MEINE LIEDER<
January 2004: So I sat in my flat in Vienna, squandering my work again. It is incomprehensible why here of all places, any other town would have fed me better. "Franz, leave him in peace", said Ronnie and agreed to sing the "Winter Journey" for me. The hopeless psychic development the song cycle is describing may well determine my Schubert paintings. "It's called romantic-ironic despair by musicologists" I said, and thought of pink rubber gloves
During "Vormärz" (the period between 1815 and the 1848 revolution) political and social order was the basis for inner peace. Art's function was to praise the values of intimacy and privacy. Austrian culture, dominated by local government, did not accept anything else and persecuted any "revolutionary and subversive activities". Schubert, too, witnessed his friend Senn being taken into custody for trial for fourteen months, after his writings were discovered. Facing ongoing censorship, the poet Wilhelm Müller from Dessau hid his criticism on the restauration politics of the German confederacy within his harmless sounding homeland poetry. Franz Schubert composed "Die schöne Müllerin" and "Winterreise" taken from Müller's "Waldhornisten Lieder". Censorship was reduced as a result of the revolution in 1848, twenty years after Schubert's death. Yet, these post-revolutionary changes also marked the transition from patronage to market economy, which led to art production that had to follow demand
October 2005: It was decided that the mezzo-soprano Jacqueline Schwarz would sing the Winter Journey instead of Ronnie, accompanied by Peter Hartwig's electronic modular arrangements. "I am going to fulfill every cliché to drown in romantic ironic despair", I said to Jacqueline. There is an endless sadness circling through my paintings as there is in the "Winter Journey". Somehow we seem to be at home in this sadness and sing to it with recognition. I think also about "Fitzcarraldo", pulling a ship up a mountain. I am going to disregard the failure at the end and will go on searching for hidden paths that no one walked (back) before.
"Wounds are not shown", writes Elfriede Jelinek about Schubert. But we can still see the scars and each scar represents a part of memory…
